Das neue Evangelium.

von Maciej Zasada

(Το ευαγγέλιο κατά τον άνθρωπο)

Rz12.2: „Gleicht euch nicht dieser Welt an, sondern wandelt euch und erneuert euer Denken, damit ihr prüfen und erkennen könnt, was der Wille Gottes ist: was ihm gefällt, was gut und vollkommen ist.“
Mt5.48: „Seid vollkommen wie euer himmlischer Vater vollkommen ist”.________

Leo Tolstoi hat einmal versucht, die Evangelien zu rekonstruieren, indem er die Authentizität der einzelnen Sätze in Zweifel zog – er versuchte Spuren Christi in den Sätzen der Evangelien zu finden – Falsches und Interpretatorisches herauszufiltern und nur das darin zu belassen, was nach seinem Urteil authentisch ist (Leo Tolstoi, „Kurze Darlegung des Evangeliums“, Leipzig 1904)

Im Gegensatz zu Tolstoi erkenne ich nur zwei Sätze der Evangelien als authentisch in Bezug auf Christus, und nur diese Sätze analysiere ich. Ich kümmere mich nicht um die Authentizität der anderen, denn ich würde so nicht mehr als Tolstoi erreichen und sogar er erreichte nicht viel.

Ich stelle gegenüber der dogmatischen Annahme der Authentizität sämtlicher Sätze der Evangelien die Unentscheidbarkeit dieser Frage und konzentriere mich auf die Sätze, deren Authentizität ich nicht in Frage stelle. Auf diese Weise gewinne ich die Möglichkeit, den ursprünglichen Gedanken Christi aus einer zuverlässigsten Quelle zu extrahieren (ich vertraue meiner Intuition, vor allem wenn es um die Konsequenz meiner Methode geht – die Rekonstruktion des Ursprungsgedanken der Christenheit).
Angesichts dieser Konsequenz spiel die Authentizität der Sätze keine Rolle mehr. Das was zählt ist allein ihre Wirkung.
Jemand, der meine Methode infrage stellen wollte, müsste zuerst die Glaubwürdigkeit der Sätze untergraben, die ich als Quellen des ursprünglichen Gedanken Christi ausgewählt habe, und damit die Glaubwürdigkeit des Evangeliums als Grundlage des Christentums untergraben (circullus vitiosus)

Wozu fordert Philosophie Christi auf?
Diese Philosophie konzentriert sich auf einem Punkt, aus dem alles andere hervorgeht – die Philosophie Christi fordert dazu auf, Gott in allen Situationen und in allen Aspekten des Lebens als Vorbild zu betrachten: im Denken, im Handeln, im Urteilen… im Bewusstsein.

Was ändert sich unter dem Einfluss dieser Philosophie?
Die menschliche Perspektive ist lokal. Im Lokalen finden wir Zonen des angenehm Guten und des Bösen. Wir finden dort Freund und Feind, den Heldentum, der sich gegen das Böse richtet, wir finden dort menschliche Anständichkeit, auf die wir stolz sind und deren Absurdität wir gar nicht erkennen ().

Wer sich Gott zum Vorbild nimmt, ändert seine natürliche Perspektive und beginnt, anders zu betrachten. Er sieht Heldentümer und Edelmüter, die sich gegenseitig bekämpfen, er sieht die Ungerechtigkeit und Unzulänglichkeit der lokalen Perspektive auf Fremde, auf Feinde.
Wer sich Gott zum Vorbild nimmt, teilt nicht auf, trennt nicht in gut und böse, in Feind und Freund, beschützt nicht bloß die „Seinen“, setzt Fremde oder Andersdenkende nicht mit dem Bösen gleich … er wird gerecht. Seine Gerechtigkeit entspringt jedoch nicht einem intrinsischen „Bedürfnis nach Wiedergutmachung“ oder dem Bedürfnis, sich zu rächen und mit Auge um Auge zu bezahlen. Diese Gerechtigkeit ergibt sich aus einer vertikalen und universellen Perspektive auf die sich bekriegenden Lokalitäten (bei uns sind wir die guten und die Russen die bösen – in Russland umgekehrt – verständlich aus menschlicher Sicht, aber nicht akzeptabel aus universeller Sicht Gottes).
Wer sich Gott zum Vorbild nimmt, erlangt also ein Bewusstsein für die Existenz einer anderen Perspektive. Dieser Mensch erlangt die Fähigkeit, die Realität mit der hypothetischen Perspektive Gottes in Beziehung zu setzen, sich über sich selbst, über seine Schwächen zu erheben – dieser Mensch erlangt die Fähigkeit, in sich selbst das archaische Tier zu vernichten, das von den Determinismen und Gewohnheiten seiner eigenen Lokalität gelenkt wird.
Dies gilt unabhängig davon, an welchen Gott er glaubt oder ob er überhaupt gläubig ist. Die Philosophie Christi, die ich hier rekonstruiere, ist universell wirksam.
Das hat man hier noch nicht erlebt. Und niemand hat dies bis jetzt bemerkt…und gewürdigt??
Das auf das Evangelium gegründete Christentum ist fast das, was es sein sollte. „Fast“ deshalb, weil ihm der zentrale Punkt der Lehre Christi fehlt – seine Philosophie. Als Folge dieses Mangels ist ein kirchliches Christentum entstanden, mit eigenen Vorbildern und einem unantastbaren, unzugänglichen Gott, dessen Vollkommenheit zu vollkommen ist, um als Vorbild zu dienen.
Die Kirche ist ein Betrug an der ursprünglichen Lehre.

Christus würde das so formulieren:
„Nehmt euch keine Dinge dieser Welt zum Vorbild – nehmt allein und unmittelbar Gott zum Vorbild – seid vollkommen wie euer himmlischer Vater vollkommen ist“.

Dies ist das Geheimnis des neuen Evangeliums.
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Maciej Zasada, im Mai 2023.
Ich danke Ihnen für Ihre Zeit.