Kommentar

von Maciej Zasada

Wir haben mit der Eintragung 86. „Das einzige logische Konsistenzkriterium betrifft die Vollständigkeit der Aussagen“ eine universallogische Behauptung aufgestellt, welche für die Logik insgesamt relevant ist. Es ist heute noch üblich, dass Sätze der Logik, die der Alltagssprache, und auch ganze logische Systeme (wie Mathematik) anhand ihrer Widerspruchsfreiheit bewertet werden. Mit Gödels Unvollständigkeitssätzen entstand 1931 eine universell gültige Argumentation, welche diejenigen logischen Systeme betrifft, die mächtig genug sind (ihre Mächtigkeit im Sinne der Vollständigkeit), um zu erlauben, über sie und über ihre Bestandteile zu urteilen (die übrigen Systeme sind in diesem Zusammenhang irrelevant, denn sie postulieren ihre eigene Unvollständigkeit oder ihre Unvollständigkeit versteht sich von selbst). Diese Argumentation entscheidet aber eindeutig, dass die Widerspruchsfreiheit der widerspruchsfreien Aussagen unentscheidbar ist.

Wir gehen im Punkt 86. weiter und behaupten, warum dies der Fall ist (weil allein die Vollständigkeit, nicht aber die Widerspruchsfreiheit in der Beurteilung der logischen Aussagen und der Logik selbst eine Rolle spielt…womit wir im Vorbeigehen das Problem der Unentscheidbarkeit tatsächlich lösen).

Die Widerspruchsfreiheit bildet aber auf der anderer Seite den Grundstein der mechanischen Rationalität, welche als Konsequenz des Ausschlussprinzips der Aussagenlogik funktioniert. Die Frage nach der logischen und nach der evolutionären Berechtigung dieser Rationalität ist gerechtfertigt, und zwar dann, wenn man grundsätzlich (und mit gutem Grund) die Konsistenz der „Menschenlogik“ insgesamt anzweifelt. Wenn man es nämlich tut, zweifelt man vor Allem an der universellen Gültigkeit der „Menschenlogik“. Die Universalität soll und muss die notwendige Eigenschaft jeder Logik sein, wenn man auf ihrer Grundlage bspw. universell gültige Mathematik begründen will. Andernfalls entwirft man bloß passend (d.h. selektiv konsistent und partiell vollständig).

Stell dir vor, welche evolutionäre Konsequenzen der von uns angestrebte logische Prinzipienwechsel vom Ausschlussprinzip hin zum Vollständigkeitsprinzip nach sich ziehen wird? Kann da überhaupt noch von einem logischen Paradigmenwechsel die Rede sein? Was ist nämlich ein Beweis der Widerspruchsfreiheit einer Aussage innerhalb eines logischen Systems wert, wenn, anhand der nicht erkannten, aber grundsätzlich vorhandenen Unvollständigkeit, gleichzeitig, problemlos, die Widerspruchsfreiheit ihrer Verneinung bewiesen werden kann?
Die Widerspruchsfreiheit, die willkürlich, nicht logisch, sondern dialektisch erreichbar ist, die Widerspruchsfreiheit, die willkürlich, nicht logisch bestimmbar ist, die Widerspruchsfreiheit, die keine feste, logische, sondern standpunktabhängige Grundlage besitzt – diese Widerspruchsfreiheit soll das wichtigste Konsistenzkriterium innerhalb der Logik sein?? Im Punkt 86. erkennen wir, dass die Widerspruchsfreiheit als Konsistenzgrundlage der Logik in Wirklichkeit gar keine Rolle spielt. Sie ist vielmehr, bezogen auf die Vollständigkeit, zweitrangig (in dieser Hinsicht gilt 86. universell).

Konsequenz?
Alles, was Du jemals gesagt und begründet hast, jede Argumentation, auf die Du besonders stolz bist, und jede, die dich besonders eindrucksvoll überzeugt hat, war nur deshalb passend, zeigte sich nur deshalb wirksam, weil sie für passend, wirksam und endgültig gehalten wurde, weil keine Gegenargumentation entstand oder sich aufstellen ließ; nicht aber weil prinzipiell keine Gegenargumentation entstehen konnte.

Der Grund der endlos missglückenden Suche nach der endgültigen und absoluten Erkenntnis ist die Tatsache, dass man versteckte, aber grundsätzlich vorhandene Unvollständigkeit der widerspruchsfreien Argumentation nie als solche erkennt, sondern sich durch den Irrglauben leiten lässt, die ultimative Ebene der Widerspruchsfreiheit erreicht zu haben…

88.) Behauptung der definitiven Erkenntnis: Es ist sinnlos über die Widerspruchsfreiheit (und Wahrheit) einer Aussage zu urteilen, ohne vorher ihre Vollständigkeit definitiv geprüft und erkannt zu haben.

Die Menschen seit Tausenden von Jahren hin und hergerissen zwischen Skylla der Widerspruchsfreiheit und Charybdis der Vollständigkeit. Unwissend, unsicher, verzweifelt, mit jeder Ebene der Widerspruchsfreiheit, welche mit Mühe und stolzgeschwellter Brust erreicht, für ultimativ gehalten, immer tiefer in die Unvollständigkeit führt. Eine Widerspruchsfreie Theorie für den Preis der Unvollständigkeit…“aber die Zukunft, in der Zukunft lässt sich noch alles richten“…???

Nichts wird anders sein, solange die der Erkenntnis zugrundeliegende Logik bivalent klassisch und wahrheitsentscheidend ist…jetzt weißt Du warum.
Weiterführend: die Antwort auf die Frage, ob mächtige Systeme der Logik unvollständig sind, heißt ja (z.B. Beweise der Unvollständigkeit des Axiomensystems der Mathematik: hier und hier)